Verloren

(Gläserne Stimmen Teil 24)

Es zieht mich zum Ursprung meiner abenteuerlichen Reise zurück. Durch einen dunklen Tunnel blicke ich von oben herab auf meinen Körper, der da in einem 12 qm Zimmer am Boden liegt. Mit einem respektvollen Abstand umkreise ich ihn. Muss ich zurück in meine alte Form, die Hülle, die da im Sterben liegt? Die Antwort folgt augenblicklich. Es zieht mich hinein. Wie die ersten irrealen Momente nach einem Blackout, komme ich wieder zu mir. Und so spüre ich die Schwere und den Verfall, aber vor allem Todesangst. Gefangen in mir, will ich aufstehen, wieder aus mir heraustreten, raus aus dem Zimmer, raus aus dieser schmerzhaften und traurigen Welt. Der Geschmack von Erbrochenem und Blut lässt mich erschaudern. Mein Herz rast. Ich spüre längere Aussetzer. Mein Kopf schwankt zwischen einem hämmernden Schmerz und den letzten Versuchen meinen Körper am Leben zu halten. Mein Gehirn gibt alles, blitzt ein Dauergewitter an die Organe und den Hormonspiegel. Es fällt mir schwer zu atmen. Ich will husten, um Luft zu bekommen. Schwindel, Schwäche und Angst halten meinen Adrenalinspiegel hoch.

Ich gleite wieder ab in einen Dämmerzustand. Es bleibt dunkel. Nach einer Weile zeichnet sich ein Bild um mich herum ab. Ein Meer an toten Menschen zeigt sich mir. Von allen Seiten schallt es leise Tod, Tod, Tod. Mich überkommt eine scheiß Angst. Bin ich der Nächste? Eine dunkle Partikelwolke baut sich vor mir auf. Sie setzt sich zu einer skelettösen menschenartigen Form zusammen. Inmitten der leblosen Körper erscheint mir der Tod höchstpersönlich. Er spricht mit einer flüsternden Stimme: „Sei gegrüßt mein lieber Gratwanderer, nun sehen wir uns endlich wieder“. Er mustert mich. „Hast du diesmal nicht mehr für mich übrig, als deine Angst? Ich spüre, sie ist stärker geworden. Und ich dachte, unsere Beziehung hätte sich mittlerweile etwas vertieft.“ Fragend blickt er zu mir herüber: „Was bereitet dir diesmal so große Sorgen?“ Er rückt ein Stück näher an mich heran. Mutig und doch etwas kleinlaut antworte ich: „Oh Mann! Du bist der Tod. Das allumfassende Nichts. Wer will schon eine Beziehung mit dir eingehen?“ Etwas enttäuscht tritt der Tod wieder ein Stück zurück.

Sein Wesen aus skelettöser Masse verwandelt sich zu einem fließenden Strom aus Energie, der aus jeder Öffnung seiner Kutte hervorquillt. Sein Totenmantel hebt sich zu einem schwarzen Vorhang empor. Er spricht: „Mein alter Freund, hinter dem dunklen Vorhang deiner Angst, scheint das Licht heller denn je. Solange du dich hinter ihm versteckst, wirst du nie erfahren, mit was für einer Liebe ich walte.“ Die Herzen der vielen leblosen Menschen um mich herum beginnen zu leuchten. Dazu erscheinen unzählige Wesen, Engel die sich um die sterbenden Körper bewegen. „Du meinst dich im Tod aufzulösen? Dich für immer zu verlieren? Für immer alleine zu sein? Ohne Liebe zu sein? Wir alle, die Wesen der Dunkelheit und des Lichtes, sind zutiefst mit dir verbunden. Wir sind immer bei dir. Wir, mein Freund, haben eine sehr innige Beziehung zusammen. Angst ist die dunkle Form der Liebe, die deinen Blick trübt. Trotzdem darfst du immer entscheiden, mit welcher Energie du durchs Leben gehen willst. Mit welcher Energie du sterben willst. Mit einem Ja, trete ein in meine Welt und ich zeige dir, wo die Liebe ihren Ursprung findet.“

(Liebe Nicole, danke für unsere besondere Verbindung)

Verloren
Handgeschöpftes Büttenpapier 21,5 x 21,5 cm,
Bleistift, Tusche-Fineliner, Aquarellstift, Acrylfarbe, Amethyst, Granat,
Rubin, Citrin, Perlmutt, Smaragd, Rutilquarz, Lapislazuli Edelstein