Aufbruch

(Gläserne Stimmen Teil 19)

Ich befinde mich in einem Schockzustand. Meine Mutter kommt auf mich zu und meint, dass es ihr leid tut. Dass sie mir die Wahrheit eigentlich nie sagen wollte. Ich schüttle ihre Hand ab. Mir wird bewusst, dass die Menschen, die ich liebe, mich belogen haben. Ich spüre, dieser fremde Mann muss mein Vater sein. Es ist nicht nur die Ähnlichkeit, die wir am Körper und im Gesicht tragen, sondern das spürt auch mein Herz. Wer immer dieser Fremde ist, eines ist klar, er hat mich gezeugt.

Eine tiefe Enttäuschung über diese große Lüge kommt in mir auf. Die Lüge, die sich über mein Leben legt. Mir wird der Boden unter den Füssen weggezogen und es trifft mich zutiefst. Ich will mit keinem mehr reden. Das Einzigste was ich noch von meiner Mutter wissen will ist, ob dieser Mann hier mein Vater ist? Ihre Antwort lautet ja! Ich bin wahnsinnig enttäuscht von meinen Eltern, wahnsinnig enttäuscht von dieser Lüge. Es ist so, als ob man mir meine ganze Welt zerstört. Als ob sich mit dieser Lüge meine Liebe auflöst.

Auch meine Frau ist mit dem Kind in der Nähe und frägt mich, was das alles zu bedeuten hat? Ich kann es ihr nicht beantworten. Ich spüre einen großen Schmerz in mir und eine Wut. Ich habe meinen Eltern so sehr vertraut, doch sie haben mich belogen. Mein Vater ist gar nicht mein Vater und das schmerzt unglaublich. Meine tragenden Säulen brechen zusammen. Meine Frau schaut mich an und meint: „erkläre mir das bitte! Wusstest du etwas davon?“ Sie spürt dass sich was verändert, mit dem sie nicht umgehen kann. Aber ich bin so in meinem eigenen Schmerz, dass ich ihre Sorgen und Ängste nicht sehen kann. Das Einzigste in mir, ist Hass, Wut und Zorn. Und in dem Moment, als sie ihre Frage wiederholt, schubse ich sie von mir weg. Sie fällt mit meinem Sohn auf dem Arm hin. Ich erschrecke, da ich das nicht wollte. Mir fehlt die Kraft auf sie zuzugehen, ihr aufzuhelfen. Ich will von all dem gar nichts mehr hören. Ich packe meine Sachen und gehe weg. Der Schmerz und Zorn übermannen mich. Ich gehe und gehe. Ehe ich mich versah, bin ich weit weg.

Aufbruch
Handgeschöpftes Büttenpapier 21,5 x 21,5 cm,
Bleistift, Tusche-Fineliner, Aquarellstift, Acrylfarbe