Weg der EntTäuschung (II/V)
„Du wirst nicht allein sein,“ beruhigte sie mich. „Ein Begleiter, ein Wächter der Dunkelheit, wird dich führen.“ Kaum hatte sie das gesagt, blitzten zwei rote mondgleiche Augen aus der Dunkelheit auf. Ein tiefes Brummen durchdrang die Stille – vertraut und doch fremd, als hätte ich diese Begegnung schon einmal erlebt. Es war Karius, der Drache, der sich näherte, um mich auf meiner Reise zu begleiten. Die Schattenwelt rief, und ich kletterte auf seinen Rücken. Seine Präsenz durchdrang jede Faser meines Seins. Doch anstatt abzuheben, gab der schwarze Boden unter uns nach, und wir begannen, in die Oberfläche des Mondes zu versinken, als wären wir in Treibsand gefangen.
Tiefer und tiefer sanken wir. Der letzte Lichtstrahl verschwand, als auch unsere Köpfe von der Dunkelheit verschluckt wurden. Tiefe Finsternis umhüllte mich, drang in meine Sinne und bis in die Zellen meines Körpers. Ich atmete aus und hielt den Atem an, so lange ich konnte. Dann sog ich das flüssige Schwarz voller Inbrunst ein. Es füllte meinen Mund, meinen Rachen, meine Lungen und zog tief in meinen Körper.
Es fühlte sich an wie ein Traum, in dem ich zu ertrinken schien. Doch mein Körper stellte sich schnell auf das lebensfeindliche Umfeld ein. Je tiefer wir sanken, desto mehr Druck baute sich auf, und das Atmen fiel mir schwerer. Doch selbst das schien keine große Rolle zu spielen. Mein Körper vermittelte mir das Gefühl mehrere Leben zu besitzen – oder vielleicht war es einfach die Gabe, sich immer wieder den äußeren Umständen anzupassen. Ich erinnerte mich an Shamias Worte: „Du bist ein Wanderer zwischen den Welten.“
Ich klammerte mich an Karius fest, der wortlos wie ein Anker in die Tiefe sank, und ich mit ihm. Es war spürbar, dass wir nicht allein waren. Je tiefer wir sanken, desto deutlicher fühlte ich die Anwesenheit von Wesen oder Dingen, die uns umkreisten. „Wohin treiben wir?“ fragte ich in Gedanken. Karius schien meine Frage aufgeschnappt zu haben und antwortete: „Wir folgen dem Strahl der bedingungslosen Liebe, ein dunkler Pfad, der uns in die Schattenwelt führt. Zum Ursprung, zum Kern, zum Gedächtnis vergangener Zeiten.“
Anstatt der erwarteten Kälte wurde es auf dem Weg nach unten immer wärmer. Oder vielleicht nach oben – jegliche Orientierung verlor sich in der Dichte dieser schwarzen Masse. Hier, durchdrungen von Materie, fand alles seinen Ursprung. Mein Körper begann, sich langsam aufzulösen, als würde ich in eine Wolke schwarz glühender Partikel übergehen.
Inmitten des unendlichen Nichts bildet sich ein schwarzer Raum. Er scheint grenzenlos, endlos, und doch erhebt sich darin ein goldenes Fenster, wie ein stiller Wächter, der über das Nichts wacht. Aus diesem Fensterkreuz heraus erstrahlen Sonne und Mond, doch sie wirken wie ein ferner Traum, als wären sie Teil einer anderen Dimension.
Ich fühle, dass dieser Raum mehr ist als nur ein Ort – er ist eine Dimension in mir selbst, eine unendliche Weite, die im tiefsten Schwarz der Dunkelheit ihre wahre Schönheit offenbart.
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Weg der EntTäuschung (II/V)
Handgeschöpftes Büttenpapier 21,5 x 21,5 cm,
Bleistift, Tusche-Fineliner, Aquarellstift, Blattgold