Suchtdruck X/XV

Es zeichnete sich ab: ein ganzheitliches Bild meiner persönlichen Suchtlandschaft. Nicht mehr bloß Drogen. Nicht mehr nur Alkohol, Dope, Nikotin. Sondern ein System. Ein Muster. Ein tief in mir verschalteter Reflex, der sich durch alle Lebensbereiche zog: in die Arbeit, den Sport, das Sexuelle, die Beziehungen, das Denken selbst. Ich begann mir einzugestehen, was lange wie ein Urteil klang: Ich bin maßlos. Aber das war keine Anklage mehr. Es war Erkenntnis. Und sie war notwendig.

Denn ich begriff: Alles, was ich konsumierte, war ein Vorhang. Ein Schleier, der das verhüllte, was ich nicht fühlen wollte. Die Sucht war nicht das Problem. Sie war der Deckel. Darunter lag etwas anderes – etwas, das ich jahrelang mit Rauch und Rausch, mit Flucht und Lautstärke betäubt hatte. Und so fragte ich mich: Wohin würde sich all das verlagern, wenn ich aufhöre? Was würde kommen, wenn kein Stoff mehr da ist, um die Leere zu füllen? Und je näher der Tag Null rückte, desto größer wurde meine Gier. Die letzten Tage waren ein Taumel, ein Tanz mit dem Ende.

Dann stand er da: der letzte Abend. Ich war allein. Wie so oft. Ich hatte mir meine letzte Flasche Schampus aufbewahrt, eine letzte Schachtel Zigaretten, meinen letzten Strohhalm. Es war mein ganz eigenes Abschiedsritual. Mein Plan 2009. 15 Jahre Irrfahrt. Ich saß da wie ein sterbender König in einem zerfallenen Schloss aus Bierdosen und Asche. Und ich starb. Nicht körperlich. Aber innerlich. Und am nächsten Morgen wachte ich auf – und dokumentierte mein Gesicht. Liegend im Bett. Ohne Filter. Und ich erschrak. Ich sah aus wie der lebendige Tod. Mein Blick war hohl. Mein Körper grau. Mein Geist flüchtig. Und mein Herz? Nur ein kaum hörbares Klopfen gegen den Wahnsinn.

„Suchtdruck X/XV“
Handgeschöpftes Büttenpapier 21,5 x 21,5 cm,
Bleistift, Tusche-Fineliner, Aquarellstift, Blattgold