Fragil V/V – Liebe
So knie ich da, bittend, flehend. Um mich herum tobt der wilde Fluss, ein Wasserfall reißt mich fort, hinab in die Tiefe. Meine Gefühle, einst beweglich, gleichen mehr und mehr einem Morast. Ich blicke hinab, beide Beine längst tief im Moor versunken. Ich sinke weiter, kein Halt, nur das Verschlingen. Dieser Zustand ist so erdrückend, dass ich mich frage: Will ich so weiterleben? Oder ist das hier nicht längst dasselbe, wie nicht mehr zu leben? Ich will entfliehen, wie ich es jeden Tag versuche, auf meinem Weg der Verdrängung, der Missachtung, des Selbsthasses. Doch heute wird mir klar: Es ist eine Sackgasse. Immer wieder stehe ich hier, nach jedem Rausch, nach jeder Ekstase. Ein Reset, eine neue Chance, endlich zu dem zu stehen, was mich schon so lange begleitet. Und heute, wo ich des Lebens müde bin, wo ich glaube, dass mein Ende naht, heute nehme ich alles an.
In diesem Moment, mitten im Tosen, hinter dem donnernden Wasserfall, hinter den Sturzfluten von Worten, Fragmenten, Hieroglyphen, höre ich sie: eine feine Stimme. Leise und doch wie ein Versprechen, das die Welt für mich neu ordnet. „Verlange nichts, und ich gebe dir alles.“ In Richtung dieser tiefdringenden Worte strecke ich meine Hand aus, frei von jedem Verlangen. Es ist das Letzte, was von mir bleibt: eine stille Geste, ein offenes Sein. Ich lasse mich führen, im tiefsten Vertrauen auf das, was ich nicht zu sehen vermag. Durch die tosenden Sturzfluten hindurch brechen goldene Strahlen, wie zarte Fäden weben sie sich um meine Hand, ziehen mich hinaus, aus dem Wahnsinn, hinein in eine liebevolle Stille. Gedanken werden weich, werden zur Geborgenheit einer Mutter, die ihr Kind hält, in reiner, unerschütterlicher Liebe. Es säugt, es streichelt, ein Kind, ganz geborgen in den Armen der Liebe, die niemals wankt.
Und so fühle ich es: mein Herz. Du, mein Herz, das mich vom ersten Schlag an begleitete. In deiner bedingungslosen Liebe hast du alles mit mir erlebt, alles mit mir durchlitten, alles mit mir geteilt. Immer standest du hinter mir, hast zu mir gesprochen, hast mir das Gefühl gegeben, dein Ein und Alles zu sein. Heute Nacht, in der dunkelsten Nacht meiner Seele, hast du mich gerufen, und ich habe dich gehört. Ich bin bereit. Bereit, den alten Kreislauf zu verlassen. Dem Tod so nahe, und jetzt dem Leben näher denn je. Ich verliebe mich neu: in dieses Gefühl, in dieses Licht, in dieses Bewusstsein, das du mir offenbarst. In dieser Nacht, in der der Tag bereits leise anbricht, fasse ich einen neuen Entschluss. Ich bin angekommen. Hinter dem Tor der Angst, hinter dem tosenden Wahnsinn, wartetest du, mein Herz, mit offenen Armen auf mich. Und ich lege mich hinein, in diese tiefe Liebe. Ich entfalte mich, im Wissen: Alles, was ich erlebt habe, alles, was ich durchlitten habe, war notwendig, um diesen Moment der Wahrheit für mich zu erreichen.

„Fragil V/V – Liebe“
Handgeschöpftes Büttenpapier 21,5 x 21,5 cm,
Bleistift, Tusche-Fineliner, Aquarellstift, Blattgold