Weg der EntTäuschung (IV/V)
In Gedanken flehte ich: „Wie soll ich diesen Schmerz ohne Angst nur ertragen? Ich werde verrückt. Bin ich nicht hier, um genau das zu befreien, um Raum für Liebe zu geben?“
Die Enge in meinem Kopf wurde erdrückend. Ich fühlte mich wie in einem Glaszylinder, der mich ersticken und zerquetschen wollte. „Wer soll mich hier herausholen, wenn nicht du, mein Herz?“ rief ich verzweifelt.
Die Schlange zischte erneut: „Es ist nicht dein Herz, das verschlossen ist, sondern du selbst. Öffne dich, und dein Herz wird dir folgen. Die Kraft, die du in dir birgst, mag dunkel erscheinen, doch auch sie ist nur Energie, die sich nach Licht und Liebe sehnt.“
Kaum waren diese Worte verhallt, begann sich die Schlange vor meinen Augen zu verändern. Sie wandelte sich zu einem Wesen, das aus den tiefsten Schichten meiner selbst hervorzuwachsen schien. Ich verlor jegliche Kontrolle über meinen Körper. Es war, als würde mich eine unsichtbare Kraft nach hinten drücken, mich aus meiner eigenen Existenz herausdrängen. Vor mir manifestierte sich eine Gestalt, so überwältigend, dass mir der Atem stockte.
Aus dem schwarzen Nebel erhob sich ein Wesen von imposanter Präsenz. Zuerst erblickte ich ein Haupt, reich geschmückt mit Gold und feinsten Ornamenten. Langsam kamen Hals und Rücken zum Vorschein, bedeckt von schwarzer, ledriger Haut, durchzogen von Adern und hervorstehenden Knochen. Es war, als ob sich ihre gesamte Erscheinung ständig in Bewegung befände. Formen und Gestalten schienen aus ihrem Körper hervorzutreten, um dann wieder mit ihr zu verschmelzen – Wesen aus einer anderen Dimension, unheimlich und geheimnisvoll.
Eine Frau, wie aus einem düsteren Kunstwerk herausgeschnitten, erhob sich vor mir. Ihre Erscheinung war sowohl majestätisch als auch beängstigend. Ihr Körper wirkte menschlich, und doch schien sie in einem ständigen Fluss zu sein, als ob sie aus den Schatten selbst geformt wurde.
Ich spürte ihre Präsenz in jeder Zelle meines Körpers. Ein vibrierendes Pulsieren durchzog mich, als ob mein Wesen in Resonanz mit ihrer Macht stand. Vor mir stand niemand Geringeres als Lilithra, die Königin der Schattenwelt. Ihre Macht war überwältigend, ihre Schönheit finster und erhaben – ein Abbild all dessen, was ich zu fürchten und zu verehren gelernt hatte.
Wie konnte ich jetzt nur meine Angst verbergen, wenn sie mit jedem Atemzug stärker wurde? Unweigerlich würde sie erkennen, dass mein Herz nicht rein war – und dann, ja, dann wäre ich verloren, für immer. Ein stummer Kampf tobte in mir, bis sich Shamias Worte in mein Bewusstsein drängten: „Die Liebe wird dich kennzeichnen als einen der Ihren.“ Vielleicht war gerade dieser dunkle Raum in mir, den mein Herz zu schützen versuchte, das was ich ihr zeigen sollte, das wonach sie suchte.
Mit dieser Erkenntnis ließ ich mich ganz im Vertrauen in ihre Gegenwart fallen, bereit, selbst die finstersten Ecken meines Seins zu offenbaren. In der Hoffnung, von all dem Schmerz erlöst zu werden, öffnete ich mich dem Unbekannten.
Meine Augen schlossen sich, und ich spürte, wie ich tiefer sank. Mein Brustkorb weitete sich, als ob er selbst bereit war, all das zu offenbaren, was in mir verborgen lag. Ohne ein Wort begann Lilithra, mit sanfter Bestimmtheit mein Innerstes freizulegen. Mit achtsamen Bewegungen griff sie in meine Brust und zog mein Herz hervor.
Mit ihren langen, knöchernen Händen umfasste Lilithra mein Herz und öffnete es behutsam, als wäre es eine zerbrechliche Walnuss. Sofort strahlte eine kraftvolle, funkelnde Energie aus ihm hervor. Feine Wirbel entstanden, oben hell leuchtend und unten schwarz glitzernd, die wie von einer unsichtbaren Kraft angezogen zu meinem Herzen hinströmten.

Weg der EntTäuschung (IV/V)
Handgeschöpftes Büttenpapier 21,5 x 21,5 cm,
Bleistift, Tusche-Fineliner, Kohle, Blattgold